Social Media als Auslöser für Einsamkeit und Depressionen?

Soziale Medien haben in den letzten Jahren beständig an Einfluss auf unsere Leben gewonnen. Beinahe jede*r nutzt sie, für die meisten sind sie zu einer ständigen Wegbegleiterin geworden. Durch das Smartphone kann von überall auf soziale Medien zugegriffen werden, durch Push-Notifications dringen soziale Medien regelmäßig in unser Leben außerhalb, unser Leben inmitten der Realität, ein.

Längst haben Social Media Messenger klassische Telekommunikationsformen wie SMS oder auch Anrufe verdrängt. Sie eröffnen neue Möglichkeiten der Kommunikation, schränken diese jedoch an anderen Stellen auch ein. Der Einfluss Sozialer Medien auf unser Leben, unseren Alltag, ist mittlerweile enorm. Ohne soziale Medien leben, das kann sich heute kaum eine*r vorstellen.

Person sitzt zusammengekauert und mit gesenktem Kopf vor einer Steinmauer

Beitragsbild von Pixabay bei pexels

Und doch sind es mehrheitlich nicht die sozialen Medien, die sich an unsere Bedürfnisse angepasst haben. Wir haben unser Leben nach den Möglichkeiten sozialer Medien arrangiert. Soziale Netzwerke sind, wie auch der Kontakt zu anderen Menschen in der realen Welt, in der Lage dazu, unsere Emotionen zu beeinflussen. Und davon machen viele Institutionen Gebrauch.

Die Betreiber sozialer Netzwerke – etwa Facebook – experimentierten in der Vergangenheit mehrfach mit den Emotionen ihrer Nutzer*innen [1], politische Parteien und andere politische Akteur*innen versuchen durch entsprechende Beiträge Einfluss auf potenzielle Wähler*innen zu nehmen [2] und Werbefachleute versuchen ohnehin seit jeher, aber eben auch in sozialen Netzwerken die Emotionen der Nutzer*innen dazu zu nutzen, diese zum Kauf eines Produktes oder einer Dienstleistung zu bewegen. Wenn so viele Akteur*innen versuchen, Einfluss auf die Emotionen der Nutzer*innen zu nehmen, muss das schließlich auch Effekt zeigen.

Aber die (versuchten) Einflussnahmen auf die Emotionen der Nutzer*innen sozialer Medien sind nicht der einzige Faktor, der soziale Medien zu einer lebensbestimmenden Instanz für so viele Menschen macht. In sozialen Medien entstehen auch ganz eigene Dynamiken der Selbstoptimierung und -profilierung. Was in der Offline-Welt hinsichtlich irgendwelcher gesellschaftlich transportierten Schönheitsideale zu beobachten ist, oder auch hinsichtlich des “perfekten” Lebenslaufs im Hinblick auf Karrierevorstellungen, drückt sich in sozialen Medien häufig als eine beständige Optimierung des eigenen Profils gemäß irgendwelcher Lebensführungs-Normen aus. Hier ein Bild des schön angerichteten Mittagessens in einer hippen Gaststätte, dort ein Selfie in einer Theateraufführung, am Wochenende Selfies aus dem Club – zusammen mit Freund*innen und jeder Menge fancy Getränke. Und natürlich müssen all deine Freund*innen wissen, wenn du gerade in Urlaub bist.

Grundsätzlich gilt: je ausgefallener und einzigartiger, desto besser. Auf diese Art und Weise tragen Nutzer*innen in sozialen Netzwerken vor allem die Highlights ihres Lebens zusammen. Die Tiefpunkte verschweigen sie meist ebenso wie das meiste Alltägliche. Natürlich ist das nachvollziehbar, wer möchte schon in der Öffentlichkeit kundtun, dass sie*er heute mal wieder nicht aus dem Bett gekommen ist, oder dass das eigene Geld gerade mal wieder nicht reicht, um schick essen zu gehen.

Ganz zu schweigen von schwerwiegenden Problemen. In aller Regel bleiben solche Probleme, die natürlich jede*r hat, in sozialen Netzwerken unsichtbar. Das kann bei Nutzer*innen jedoch dazu führen, dass diese das eigene Leben im Vergleich mit dem, was sie über soziale Medien vom Leben anderer erfahren, als langweilig und ereignislos empfinden.[3]

Doch auch diejenigen Nutzer*innen, denen es gelingt, zahlreiche vermeintliche Höhepunkte ihres Lebens in sozialen Medien zu teilen, dürften damit kaum zufrieden sein. Sie richten ihr Leben entlang der Social Media Metriken aus, die sich zwischen Likes und Retweets bewegen, anstatt nach ihren eigentlichen Interessen zu leben. Damit machen sie ihr Glück davon abhängig, ob anderen ihre Social Media Beiträge gefallen.

Sind soziale Medien also verantwortlich für Depressionen und Gefühle der Einsamkeit? Eine Untersuchung von Melissa G. Hunt, et al. mit dem Titel “No more FOMO: Limiting social media decreases loneliness and depression” [4] legt das gewissermaßen nahe. Darin kommen die Wissenschaftler*innen zu dem Ergebnis, dass eine Reduktion der Nutzung sozialer Netzwerke auf täglich nur 10 Minuten für einen Zeitraum von drei Wochen zu einem signifikanten Rückgang von depressiven Gefühlen und Gefühlen der Einsamkeit bei den Probant*innen führte.

Das sagt, wenn schon nicht über soziale Medien an sich, zumindest etwas darüber aus, wie wir diese nutzen: Indem wir soziale Medien zu einem bestimmenden Faktor über unsere Leben machen, geben wir auch einen wichtigen Teil der Kontrolle ab. Wir unterwerfen unser Leben ohne es zu bemerken, den Gesetzen und Dynamiken sozialer Medien, anstatt nach unseren Bedürfnissen, Wünschen und Sehnsüchten zu leben. Ein bewussterer Umgang mit sozialen Medien könnte dagegen unsere Bedürfnisse wieder in den Mittelpunkt rücken und soziale Medien damit wieder zu einem Aspekt unseres Lebens machen, über den wir die Kontrolle behalten und der nicht uns kontrolliert.

2019 – Manuel Ziegler

Anmerkungen

[1] Vgl. etwa Adam D. I. Kramer, Jamie E. Guillory, Jeffrey T. Hancock. “Experimental evidence of massive-scale emotional contagion through social networks” in PNAS Juni 2014, 111 (24) (online abrufbar unter https://www.pnas.org/content/111/24/8788)

[2] So geschehen bei diversen Wahlkämpfen in den USA, zuletzt bei den Präsidentschaftswahlen von 2012 und 2016, aber auch in Deutschland versuchen politische Parteien durch emotionale Beiträge und sogenannte Fake News Wähler*innen zu gewinnen. Besonders beliebt ist dieses Vorgehen bei rechten Akteur*innen, allen voran bei der extrem rechten AfD (vgl. zur Gesamtsituation in Deutschland auch Lisa-Maria N. Neudert. Computational Propaganda in Germany: A Cautionary Tale”, online abrufbar unter http://blogs.oii.ox.ac.uk/politicalbots/wp-content/uploads/sites/89/2017/06/Comprop-Germany.pdf).

[3] Cara L. Booker, et al. stellen in ihrer Arbeit “Gender differences in the associations between age trends of social media interaction and well-being among 10-15 year olds in the UK” (online abrufbar unter https://bmcpublichealth.biomedcentral.com/track/pdf/10.1186/s12889-018-5220-4) eine entsprechende Tendenz bei 10 bis 15-Jährigen Nutzer*innen sozialer Netzwerke fest. Sie beobachten außerdem, dass vor allem weibliche Nutzer*innen von diesem Phänomen betroffen sind.

[4] Online abrufbar unter https://roguemedialabs.com/wp-content/uploads/2018/11/jscp.2018.37.10.751.pdf