Entfremdet uns die smarte Technologie von unserem Leben?
Das Smartphone ist zum ständigen Wegbegleiter vieler Menschen geworden. Schon beim Aufstehen verrät es seinen Besitzer*innen, was in der Welt passiert ist, während sie geschlafen haben, während dem Frühstück unterhält es seine Nutzer*innen mit Podcasts oder Musik und auf dem Weg zur Arbeit ist es der wichtigste Begleiter der Menschen.

Autofahrer*innen zeigt Google dank Tracking zahlreicher Smartphonenutzer*innen den schnellsten Weg in die Arbeit, wer mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fährt, die*der kann währenddessen mit seinen*ihren Freund*innen chatten oder Nachrichten lesen und den abenteuerlustigeren Bewohner*innen der heutigen Städte entbieten Verleihdienste für Fahrräder, E-Roller und E-Bikes ihre Dienste. Per App, das versteht sich ja von selbst. Auch in der Arbeit ist uns das Smartphone ein treuer Gefährte: Egal ob für Videotelefonie mit Kolleg*innen am anderen Ende der Welt oder als willkommene Ablenkung vom tristen Arbeitsalltag.
Und wenn der vorbei ist, dann ist es wiederum das Smartphone, das uns den schnellsten Weg nach Hause, in die nächste Kneipe, ins Kino oder sonstwohin vorschlägt, es ermöglicht uns dank sozialer Netzwerke und Messengern mitzubekommen, was unsere Freund*innen gerade so treiben und wenn wir schließlich nach einem langen Tag unsere müden Augen schließen, dann meist nicht ohne uns zuvor noch ein letztes Mal vergewissert zu haben, dass wir während wir schlafen nichts verpassen werden.
Nun, das Smartphone ist eben ein wichtiges Werkzeug für uns geworden, so wie für manch eine*n ein Schweizer Taschenmesser. Wo liegt da das Problem? Ist es ein Problem, wenn mir Google eine schnellere Route vorschlägt? Ist es ein Problem, wenn ich statt auf herkömmliche Weise mit meinen Freund*innen zu telefonieren über Whatsapp mit ihnen in Kontakt trete? Ist es ein Problem, wenn ich in der U-Bahn Videospiele spiele? Ich habe ja ohnehin nichts besseres zu tun. Ist es ein Problem, wenn mir eine App täglich die wichtigsten Nachrichten auswählt?
Da spare ich mir schließlich die Zeit, die ganze Zeitung zu lesen. So gefragt bereichert die smarte Technologie unser Leben enorm. Wir sparen Zeit beim Autofahren, bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel, beim Lesen der Nachrichten und wenn wir gerade zu viel Zeit haben, dann hilft uns unser Smartphone mit einem Videospiel aus der Patsche. So gesehen bringt die Smarte Technologie das schöne Leben für Alle.
Wäre da nicht die Kehrseite des Ganzen. Wohin fließt all die Zeit, die uns die vielen Apps einsparen? Hast du das Gefühl, du hättest heute mehr Zeit als früher? Wann hattest du das letzte Mal Ruhe, konntest deine Gedanken schweifen lassen, vielleicht bei einer Tasse dampfendem Tee oder Kaffee, ohne dass du dabei ständig von Push-Notifications deines Smartphones unterbrochen wurdest? Triffst du alle Entscheidungen, die dein Leben betreffen selbst? Oder zumindest die wichtigsten? Ist dein Smartphone nur Entscheidungshilfe oder lenkt es deine Entscheidungen vielmehr? Ist es Werkzeug oder Kontrollinstrument?
Eine allgemeingültige Antwort auf diese Fragen gibt es wohl nicht, fest steht aber, dass die Wahrheit in den meisten Fällen irgendwo dazwischen liegen dürfte. Steht der E-Scooter, den ich, wenn ich spät nachts nach Hause gehe, so gerne benutze nur zufällig am Wegesrand oder wurde er gezielt für mich dort abgestellt? Vermutlich beides nicht: Er steht dort, weil er statistisch relativ häufig genutzt wird, wenn er dort abgestellt ist. Fakt bleibt: Wäre er nicht dort gestanden, direkt auf meinem Nachhauseweg, dann hätte ich ihn vermutlich auch nicht genutzt, denn den Aufwand, dafür einen Umweg zu machen, wäre es mir dann doch nicht wert gewesen.
Die Strategie geht auf, ich zahle eine Hand voll Münzen und für den Anbieter hat es sich gelohnt. Aber war es nun wirklich meine Entscheidung, diese E-Scooter-Fahrt zu machen, oder bin ich auf einen psychologischen Trick hereingefallen? Ist es meine Entscheidung, stundenlang jeden Tag in sozialen Netzwerken zu verbringen oder ist es Facebook und Co. nur bereits gelungen, mich zu ködern? Ist es meine Entscheidung, Zeit in der ich keine anderen Verpflichtungen habe, mit Spielen zu verbringen, oder bin ich spielsüchtig?
Letztlich ist vieles eine Frage der Betrachtung: Vielleicht erfüllt smarte Technologie all die Sehnsüchte, die wir schon immer hatten: Wir können mehr Zeit in sozialen Netzwerken verbringen, können jederzeit Nachrichten lesen oder mit unserem Smartphone spielen. Vielleicht ist es ja das, was wir uns immer erträumt haben. Darauf wetten würde ich nicht.
Aber wenn wir all das eigentlich gar nicht woll(t)en, aber dennoch tun, haben wir dann noch die Kontrolle über unser Leben? Oder hat smarte Technologie uns diese schleichend entrissen? Vielleicht ist es an der Zeit, dass wir uns unser Leben wieder aneignen und in Zukunft selbst bestimmen, was wir tun wollen und was nicht. Wie das gelingen kann, das muss jede*r für sich selbst entscheiden. Vielleicht genügt es, die Nutzung smarter Technologien zu reflektieren, vielleicht bedarf es auch einer längeren Auszeit (lese dazu einen Erfahrungsbericht von Gregor Sawal) oder gar einem endgültigen Bruch. Vielleicht hast du ja auch alles im Griff und vielleicht brauchst du auch professionelle Hilfe. Aber in jedem Fall bist du es, von dem*der die Initiative ausgehen muss.
2019 – Manuel Ziegler