Was passiert eigentlich, wenn ich kein Smartphone mehr will? Ein Erfahungsbericht.
Ich habe zum ersten Mal die Bildschirmzeit auf meinem Handy kontrolliert. Dort hieß es, dass ich im Schnitt alle sieben Minuten auf mein Handy schaute. Gerade an einem Arbeitstag bedeutet das, dass meine Konzentration nach dieser Zeitspanne abreißt und wieder aufgebaut werden muss.
Ich betrachtete in der darauffolgenden Wochen einiger meiner Angewohnheiten im Umgang mit dem Smartphone, auch wenn das Wissen um Beobachtung das Handeln zweifelsohne verändert:

Ich öffne Instagram und bin kurz enttäuscht darüber, dass ich keine neuen Likes oder Nachrichten habe. Das ist nicht verwunderlich, immerhin poste ich so gut wie nie etwas und habe kaum Follower. Dennoch ist es ein kurzer Moment der Enttäuschung. Ich gehe zurück auf den Homebildschirm, weiß nicht, welche App ich als nächste öffnen soll, wische durch die Programme, drücke wieder auf Instagram und erneuere den Feed, obwohl ich das vor gerade einmal fünfzehn Sekunden bereits getan hatte. Wieder keine Likes. Dann schaue ich mir die Story von drei Personen an, denen ich folge. Sie werden mir zu Beginn vorgeschlagen. Eine davon ist die berühmte DJ Amelie Lens, die jeden Tag in warmen Ländern vor tausenden Leuten spielt, die ihr zujubeln. Es erscheint mir oft so, als funktionierte Instagram ein Stück weit darüber, einen Alltag abzubilden, der keiner ist. Diese Darstellung zielt auf einen aufregenden oder glamourösen Eindruck ab, der aber entweder inszeniert ist oder nicht von Dauer. Alle Momente dazwischen werden ausgespart. Zu sehen bekommen Rezipient*innen nur ausgewählte Situationen. Aus diesen setzt sich dann aber ein Gesamtbild zusammen, das mit dem realen Leben wenig zu tun hat. Ich nehme wahr, dass mich dieser Eindruck oftmals dazu bringt, mein eigenes Leben zu degradieren.
Ich erlebe es auch, dass ich auf mein Telefon schaue, wenn ich eine gute Nachricht bekommen möchte. Bei der leisesten Verstimmung oder Langeweile checke ich, ob vielleicht etwas eingetroffen ist, was mir einen kurzen Kick versetzt: Ein Like, eine Nachricht, womöglich von einer Person, von der ich es nicht erwartet habe? Fachleute nennen das „Mood-Optimizing“, also Stimmungs-Optimierung.
Nach mehreren dieser Beobachtungen habe ich mich dazu entschieden, etwas daran zu ändern. Ich habe mir ein einfaches Tastentelefon gekauft und mein Smartphone aus dem Verkehr gezogen. Da WhatsApp nur funktioniert, wenn man über das Handy eine Verbindung hat, war mein größter Kommunikationskanal von einem auf den anderen Tag nicht mehr nutzbar. Ich ließ meine Mitmenschen wissen, dass ich von nun an nur noch über Facebook, Telegram (was man auch über den Computer empfangen kann, wenn kein Smartphone angeschlossen ist) und natürlich SMS und Telefon zu erreichen bin.
Der Akt des Telefonierens ist beschwerlich geworden. Früher habe ich oft mit Kopfhörern telefoniert, während ich unterwegs war. Aber auch ohne das Headset hatte ich vergessen, wie gut die Tonqualität der Telefonate durch die neuen Geräte geworden ist. Über mein jetziges Handy verstehe ich vieles akustisch nicht. Ich muss es oft nah an mein Ohr drücken, um mich einigermaßen entspannt unterhalten zu können.
Außerdem muss ich mir wieder angewöhnen, den Weg herauszusuchen, bevor ich losfahre. Ich finde eine Strecke bei Google Maps und schreibe mir auf einen Zettel die Straßen, an denen ich abbiegen muss.
Ich brauche auf dem neuen Handy lange, um Nachrichten zu schreiben. Ich versuche, das Wichtigste so kurz wie möglich zu fassen. Hin- und herzuschreiben oder zu chatten kommt mir nicht in den Sinn.
Aber ich erwarte auch keine Nachrichten mehr. Ich schaue kaum noch auf das Handy, SMS und Anrufe habe ich sowieso selten bekommen. Außerdem fällt die Zeit weg, die ich am Handy verbrachte, um das Warten zu überbrücken: Den News-Feed von Facebook und Instagram durchzuschauen, dort Videos und Bilder anzusehen, Nachrichten, das Wetter, zum dritten Mal an einem Tag den Kontostand oder das verbleibende Datenvolumen. Stattdessen schaue ich auf die Leute, die neben mir auf die Bahn warten und auf ihr Smartphone gucken. Ich kann keine Podcasts oder Musik mehr auf dem Weg zur Arbeit hören und verbringe viel Zeit damit, Plakate und Werbeanzeigen zu betrachten. Die Wege kommen mir länger vor. Seit einiger Zeit habe ich mir mal wieder ein Buch mitgenommen und auf der Fahrt darin gelesen.
Ich bin kaum noch informiert über die Dinge, die auf der Welt geschehen. Auf dem Smartphone habe ich Nachrichten gehört und gelesen. Aber eine Zeitung kaufe ich mir jetzt nicht. Es fühlt sich falsch an, dafür Geld auszugeben. Ich bin schon sehr gewöhnt daran, selbst anspruchsvollen Journalismus kostenlos zu bekommen.
Ich vermisse es, merkwürdige Dinge im Alltag in meiner Story teilen zu können. Nun stehe ich dort und lache ein wenig in mich hinein.
Ich beginne wieder, Termine zu vergessen. Ich habe mir zwar einen Terminkalender gekauft, aber dieser erinnert mich nicht zwei oder einen Tag, zwei oder eine Stunde vor dem Ereigniszeitpunkt.
Wenn ich Zeit mit Freund*innen verbringe, fällt es mir auf, dass sie oft auf ihr Handy schauen, auch wenn man zu zweit ist. Diese Momente verbringe ich wieder damit, umherzuschauen. Wenn ich etwas sage, hören sie mich oft nicht.
Ich versuche inzwischen, sehr klare Verabredungen hinsichtlich von Orten und Uhrzeiten zu treffen, um nicht noch auf den Tasten meines Handys schreiben zu müssen. Ich bemerke, dass es meinen Mitmenschen schwer fällt, sich darauf festzulegen, an einem Tag zu einer bestimmten Uhrzeit an einem Ort zu sein. Sie möchten spontan schauen, wie der Tag läuft und sich dann kurzfristig zusammenschreiben.
Viele Verabredungen bekomme ich nicht mit, weil ich nicht mehr in den Chatgruppen bin, in denen sie entstehen. Es ist vorgekommen, dass sich eine Gruppe Freund*innen getroffen hat und ich das erst Tage später rausfinde. Als ich frage, warum sie mir nicht Bescheid gegeben haben, haben sie gesagt, sie hätten vergessen, dass ich die Nachrichten der Gruppe nicht mehr bekomme. Im Moment des Treffens sei es ihnen nicht aufgefallen.
Und während ich mich darüber ärgere, das Handy mit großer Kraft an mein Ohr pressen muss und mich hoffnungslos verlaufen habe, treffe ich die Entscheidung, zum Smartphone zurückzukehren. Es tut mir nicht gut und dennoch ist es ohne noch schwieriger.
2019 – Gregor Sawal