Der wackelnde Datenschutz in Corona-Zeiten

Wenn der deutsche Gesundheitsminister in einem Gesetzesentwurf vom März 2020 darauf drängt, Funkzellen sowie Verkehrsdaten der Telekommunikation aller deutschen Bürger*innen zum Kampf gegen ein Virus zu verwenden, ohne dabei Löschfristen oder die Dokumentation dieser angezapften Datenmengen zu erwähnen, muss man sich schon fragen, was in den letzten Monaten passiert ist.

Es geht Jens Spahn darum, nachverfolgen zu können, wer einer infizierten Person gefährlich nah gekommen ist und mit welchen Personen diese kommuniziert oder verkehrt hat. Es ist ein Ansatz, der Sinn macht. Um das Gesundheitssystem nicht zu überlasten und gefährdete Gruppen zu schützen, soll der Anstieg von Infektionen verlangsamt werden. Hierfür ist die Information, mit wem eine mit dem neuartigen Coronavirus infizierte Person einen Abstand von 1,50 Metern nicht eingehalten hat, viel wert. Außerdem reicht es nicht aus, die Menschen erst in Quarantäne zu schicken, wenn sie Symptome wie Husten oder Fieber aufweisen. Die Hälfte aller Neuinfektionen geschehen, wenn die ansteckende Person die Viren überträgt, bevor sie Anzeichen der Krankheit verspürt. Die von Spahn erhoffte Beschaffung dieser Informationen wäre also zweifelsohne eine Waffe im Kampf gegen Covid-19, um den militärischen Duktus vieler europäischer Staatsoberhäupter zu übernehmen.a

Bild von Olaf Kosinsky

Spahns Pläne sind unwirksam

Aber man spürt den Zeitdruck im Entwurf zum „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“. Weder die Funkzellendaten, noch der Kommunikationsverkehr tragen zu einer Aufklärung der Infektionsketten bei. Die Funkzelle, in der man sich befindet, kann sich über eine Fläche von mehreren tausend Quadratmetern erstrecken. Über die Personen, denen man gefährlich nahekommt, sagen diese Daten nichts aus. Stellte man alle Leute, die sich zum selben Zeitpunkt in dieser Funkzellenfläche befunden hätten, unter Quarantäne, müsste ein Großteil der Bevölkerung zu Hause bleiben.

Nicht viel präziser verhält sich der Kommunikationsverkehr, wenn es um das Nachverfolgen von Infektionsketten geht. Womöglich könnte nachvollzogen werden, mit wem sich eine infizierte Person verabredet hat, doch fängt die Telekommunikation inzwischen einen Großteil der Unterhaltungen auf, die zwischenmenschlich zur Zeit untersagt ist. Es würde einen enormen Aufwand bedeuten, herauszufinden, mit wem man sich nun getroffen hat und mit wem lediglich geschrieben und telefoniert wurde, einmal davon abgesehen, dass natürlich nicht alle Menschen, zu denen man engeren Kontakt hatte, im Chatverlauf erscheinen. Die von Jens Spahn vorgesehenen Maßnahmen würden nichts bewirken und wären darüber hinaus teilweise sogar verfassungswidrig.

Es ist nicht das erste Mal, dass der Gesundheitsminister einen Vorschlag macht, der bezüglich des Datenschutzes fraglich ist. Ende letzten Jahres war im „Digitale-Versorgungs-Gesetz“ zu lesen, dass pseudonymisierte Behandlungsdaten ohne Zustimmung der betreffenden Personen an Industrie und Forschung weitergegeben werden sollen. Schon damals gab es massive Einwände, Kritiker*innen sahen den Datenschutz der Patient*innen verletzt. Das Gesetz wurde mitsamt des betreffenden Passus verabschiedet.

 

Vorbild Singapur

Die Möglichkeit einer Lockerung der Ausgangssperre scheint jedoch zur Zeit nur dann möglich, wenn Infektionsketten digital nachverfolgt werden können. Die am Dienstag vom RKI vorgestellte App für Nutzer*innen von Smartwatches und Fitnessarmbändern kann eine Hilfe bei der Eindämmung sein, reicht alleine aber nicht. Mehrfach wurde das Beispiel Singapur genannt, wo die App „TraceTogether“ dabei geholfen hat, die Neuinfektionen gering zu halten. Wobei auch hier nun doch Schulen und Firmen geschlossen werden. Die App, die freiwillig heruntergeladen werden kann, misst die Distanz zu anderen nicht durch Funkzellen, sondern mittels Bluetooth. Menschen, die sich dreißig Minuten lang im Umkreis von maximal 2 Meter des Betreffenden aufhalten, werden verschlüsselt abgespeichert. Falls eine Infektion mit dem Virus festgestellt wird, kann diese Information, erneut freiwillig, an die Nutzer*innen geschickt werden, die sich in den letzten zwei Wochen in gefährlicher Nähe befanden. Ihnen wird eine Quarantäne nahegelegt.

Dass es eine solche App hier noch nicht gibt, hat primär mit dem Datenschutz zu tun. Die Bundesregierung arbeitet an einer Version, welche die deutschen Vorschriften zulassen. Außerdem soll die Telefonnummer der*des jeweiligen Nutzer*in nicht erforderlich sein, anders als in Singapur. Die Vorstellung dieser Corona-App ist für den 16. April avisiert. Umfragen vom 26. März zeigen, dass sich 70 Prozent der Befragten eine solche herunterladen würden. Beim Deutschlandtrend vom 2. April standen 47 Prozent der Leute dieser App positiv gegenüber, 43 nicht. Der mit 41 Prozent am stärksten vertretene Grund für die Ablehnung war Datenschutzbedenken.

 

Auch Massendaten sind wichtig für den Datenschutz 

Tatsächlich gibt es Datenschützer*innen, die selbst bei einer für Deutschland angepassten Corona-App Einwände hätten. Hierbei würden keine personalisierten, sondern hochauflösende Massendaten gewonnen, weswegen eine Datenschutzverordnung nicht greife. So könnten kategorisch bestimmte Gruppen an Menschen zu Risikogruppen erklärt werden, über deren Behandlung dann nicht mehr individuell, sondern als abstrakte Klasse entschieden würde. Leute, die ihre Daten zur Verfügung stellten, weil „sie nichts zu verstecken hätten“, böten die Grundlage für eine solch flächendeckende und verallgemeinernde Datenspeicherung.

Zu einer unautorisierten Weitergabe von Massendaten ist es im Zusammenhang mit der Corona bereits gekommen. Die deutsche Telekom, aber auch Telefónica und Google haben angeblich anonymisierte Bewegungsdaten an die Bundesregierung, bzw. das Robert-Koch-Institut weitergeben, ein Eingriff in die Privatsphäre, welche die DSGVO nicht untersagt, schließlich werden keine auf Einzelne rückführbare Informationen preisgegeben. Übrigens ist die Pseudonymisierung der Patient*innendaten, die in Spahns “Digitale-Versorgung-Gesetz” eingesetzt wird, nicht dasselbe wie eine Anonymisierung. Bei ersterer besteht die Möglichkeit einer späteren Rückverfolgung.

Es zeigt sich, dass Probleme des Datenschutzes und der Priorisierung von Behandlung nicht aus dem Weg geräumt sind, nur weil die App freiwillig ist, besonders wenn es um das Speichern von Massendaten geht. Und wie viel Freiwilligkeit steckt eigentlich in einer Sache, die als Bedingung für die Lockerung von Ausgangsbeschränkungen fungiert? Hat ein Mensch, der häuslicher Gewalt ausgesetzt ist, wirklich die Wahl, sich gegen den Ausgang und für den eigenen Datenschutz zu entscheiden? Oder jemand mit psychischen Schwierigkeiten, für deren temporäres Wohlergehen der Kontakt zu anderen unerlässlich ist? Die Regierung wird eine Lockerung der Maßnahmen nur dann erwägen, wenn die App auf eine breite Akzeptanz in der Gesellschaft stößt. Denn nur dann liefert das Programm ausreichend Daten, um die Infektionsrate zu verlangsamen.

Beide Maßnahmen haben ihre Probleme. Wenn es um den Datenschutz der*des Einzelnen geht, hat die vorgesehene Corona-App den Plänen von Jens Spahn gegenüber Vorteile. Diese wurden nach vehementer Kritik aus dem Gesetzesentwurf gestrichen. Spahn betonte jedoch, dass die Idee nicht vom Tisch sei und er daran festhalten wolle. Es wäre nicht das erste Mal, dass er ein in Bezug auf Datenschutz strittiges Gesetz durchsetzt.

2020 – Gregor Sawal